Ein herzliches „Dankeschön“ an Josef Steinbichler (+), ehemaliger Fahrdienstleiter und Vorsitzender des Töginger Heimatbundes, der einen Großteil der historischen Fotos beigesteuert und die Veröffentlichung genehmigt hat.
Im Jahr 1917 wurde in München die „Innwerk-Bayerische Aluminium-Aktiengesellschaft“ gegründet, die alsbald daran ging, die Planung eines Aluminium-Werkes im bis dahin beschaulichen Örtchen Töging in Angriff zu nehmen. Töging war zu dieser Zeit ein durch die Landwirtschaft geprägtes Dorf mit knapp 500 Einwohnern. Zum Vergleich: Heute wohnen in Töging rund 9.500 Menschen. Günstig für die Standortwahl war die Lage des Ortes direkt an einer Terrassenstufe des Inns, die einen optimalen Standort für den Bau eines Kanalkraftwerkes bot. Dieses Kraftwerk sollte zukünftig den Strom für die energieintensive Aluminiumproduktion liefern. Darüber hinaus wirkte sich auch die Position direkt an der Eisenbahn-Linie München-Simbach positiv aus. Die Bahn war unerlässliche Voraussetzung für die Anlieferung der Rohstoffe und den Abtransport des Aluminiums.
Der sogenannte „Innwerk-Kanal“ und das zugehörige Kraftwerk wurden in den Jahren 1919 bis 1924 errichtet. Dies war damals mit etwa 7.000 Arbeitern die größte Baustelle Europas. Der Kanal wird bei Jettenbach im Landkreis Mühldorf vom Inn abgezweigt und erreicht nach exakt 20 Kilometern das Kraftwerk in Töging. Nach weiteren 3 Kilometern fließt das Wasser am sogenannten „Innspitz“ wieder in den Fluss zurück.
Bau einer Versorgungsbahn
Heute weitgehend unbekannt ist, dass es während der Bauarbeiten eine eigene Versorgungsbahn gab, die etwa bei Kilometer 79,5 zwischen Mühldorf und Töging von der Hauptbahn abzweigte, parallel zum Verlauf des Innkanals weiter führte und nach Unterquerung der Rampe zur Innkanalbrücke Mühldorfer Straße (Nordseite) am heutigen Sportplatz an der Wöhlerstraße endete. Die Bahn diente dem Transport von Baumaterial und wurde nach Beendigung der Arbeiten wieder entfernt. Der Tunnel unter dem „Kanalberg“ wurde jedoch erst im Jahr 1957 verfüllt.
Anlage der Werkbahn
Den Anschluss des Werkes der VAW (Vereinigte Aluminium Werke) stellte die Werkbahn her, die zu diesem Zweck eigens errichtet werden musste. Die Strecke zweigt am östlichen Bahnhofsende des Bahnhofes Töging von der Strecke München-Simbach ab und beschreibt zunächst einen Bogen in südlicher, dann in südwestlicher Richtung. Dabei überwinden die Züge 30 Höhenmeter ins Inntal hinunter.

Ausbau des Bahnhofes Töging
Auch der Bahnhof Töging musste ausgebaut werden. War bereits im Jahr 1907 ein Kreuzungsgleis verlegt worden, kamen in den Jahren 1920 bis 1924 ein Überholgleis (Gleis 3) sowie zwei Übergabegleise (Gleise 4 und 5) hinzu. Darüberhinaus erhielt der Bahnhof ein neues, wesentlich größeres Empfangsgebäude und ein neu errichtetes Einheits-Stellwerk. Der neu gestaltete Bahnhof nahm im Jahr 1924 den Betrieb auf.


Die werkseigenen Dampf-Lokomotiven
Die erste eigene Rangier-Dampflok des Werkes konnte am 29. Juli 1923 feierlich in Betrieb genommen werden.
Krauss-Maffei lieferte in den Jahren 1937 und 1943 zwei stärkere Maschinen mit den Fabriknummern „15621“ und „16316“ [1]. Aufgabe der Werkslokomotiven war damals nicht nur der Verschub im Werk, sondern auch die Übernahme und Übergabe der Wagen an die Reichsbahn bzw. Bundesbahn im Bahnhof Töging.
Die Dampfloks des Werkes erreichten täglich auch den kleinen Güterschuppen des Töginger Bahnhofes, wo Stückgut für die VAW umgeladen wurde.

Georg Harrer (Rangierer), Peter Ley (Lokführer), unbekannt, Karl Leitl (Heizer), Max Hilz (Rangierer), Peter Scheibenzuber (Rangierer), Königseder (Lokführer).


Unbekannt, Peter Scheibenzuber (Rangierer), Max Hilz (Rangierer), Peter Ley (Lokführer), Lichtenegger (Heizer), Hans Gillhuber (Rangierer).
Gleisnetz
Nach dem 2. Weltkrieg
In der Zeit kurz nach Ende des 2. Weltkrieges prägte eine ganze Flotte abgestellter Güterwagen das Bild der Töginger Werkbahn. Diese Wagen wurden in den Werkhallen instandgesetzt.
Erst am 25. März 1948 wurde mit Genehmigung der Militärregierung die Aluminiumproduktion im Werk Töging erneut in Betrieb genommen und die Werkbahn begann wieder, im Sinne ihrer eigentlichen Aufgabe zu arbeiten.
Traktionsübernahme durch die Deutsche Bundesbahn
In der Folgezeit übernahm die Bundesbahn die Fahrten in das Inntal hinunter. Die werkseigenen Rangierloks verrichteten ihren Dienst fortan nur noch beim Verteilen und Zusammenstellen der Züge im Werksgelände.
Lange Zeit waren es die Dampflokomotiven der Baureihe 50 des Betriebswerkes Mühldorf, die zum gewohnten Erscheinungsbild auf der Werkbahn gehörten. Ab Anfang der 1970er Jahre übernahmen die neu gelieferten Diesellokomotiven der Baureihen 218, 211 und 212 die Bedienung der VAW.

Im Oktober 1961 fährt eine Lok der Baureihe 50 Tender voraus in den Bahnhof Töging ein. Sie hat offensichtlich gut damit zu tun, die Wagen vom Werk in den Bahnhof zu ziehen.

50 680 hat den Anstieg zum Bahnhof geschafft und überquert die Hauptstraße im Töginger Ortsteil Feichten.

Eine Lokomotive der Baureihe 50 beschleunigt einen von der VAW kommenden Güterzug aus Gleis 1 des Bahnhofes Töging Richtung Mühldorf.

1972: Eine der letzten Fahrten mit einer Dampflok der Baureihe 50 hinunter in das Werk. Zu dieser Zeit waren die Güterzüge noch mit Güterzugbegleitwagen ausgestattet. Im Bild ein Begleitwagen vom Typ Pwgs 41.

Als Rohstoff für die Aluminiumproduktion lieferte die Bahn überwiegend in Ganzzügen Aluminiumoxid aus den VAW-Werken Stade und Schwandorf, in den ersten Jahrzehnten in den bekannten VAW-Schwerwagen, später in Ucs-Silowaggons.
Einzug des Dieselzeitalters im Werk
Die Zeit der Dampflokomotiven im Werk selbst war zu Ende, als die Deutz KS 230 B (Bauart B-dh) mit der Fabriknummer „57199“ am 30.06.1961 [2] [3] an die VAW ausgliefert wurde. Sie verrichtete den Verschub bis zum Jahr 1982.
Die Lokomotive blieb zwar noch einige Jahre betriebsunfähig auf dem Werksgelände stehen [4], wurde jedoch am 28. Februar 1982 [5] durch eine von der DB gebraucht gekaufte gelbe Köf II abgelöst. Das Fahrzeug wurde bereits im Jahr 1938 gebaut und war zuletzt unter der Nummer „322 129-8“ bis 30.09.1979 beim BW Frankfurt (Main) 1 beheimatet [6]. Der Kaufpreis soll etwa 50.000 DM betragen haben.

Im Jahr 1988 erhielt das VAW-Werk mit der Gmeinder B-dh (Fabriknummer 4827) ihre dritte Diesellokomotive [7]. Die 1954 gebaute Maschine war zunächst bei der Oberrheinischen Eisenbahn-Gesellschaft AG Mannheim sowie bei der Oelmühle Hamburg AG im Einsatz, bevor sie nach Töging kam.
Nach Schließung des Werks Töging im Jahr 1996 wurde sie an das VAW-Werk Pocking „1“ abgegeben.
Personenverkehr ins Inntal hinunter
Regulären Verkehr mit Personenzügen hat es auf der Werkbahn nie gegeben. Dennoch sind zwei Anlässe bekannt, zu denen ein besetzter Personenzug ins Werk hinunter fuhr.
Anlässlich der am 21. Februar 1958 stattfinden 2. Trophee Europeen Aluminium – Skimeisterschaft gelangte am 22. Februar 1958 ein Sonderzug vom Tegernsee mit den teilnehmenden Mannschaften ins Werk Töging. Der Sonderzug wurde durch die Dampflok 38 1808 (preußische P8) befördert.[8]
Bereits am 4. November 1953 brachte der fabrikneue Schlafwagengliederzug VT 10 551 „Komet“ Vertreter der VAW-Hauptverwaltung und Wirtschaftsvertreter in das Werk Töging hinunter.[9] Der Zug wurde bereits am Bahnhof Töging von einer großen Anzahl Neugieriger empfangen. Der Triebwagen war überwiegend aus Aluminium gefertigt worden, was zu dieser Zeit eine echte Innovation darstellte. Das Ende dieses Zuges kam jedoch bereits im Jahr 1958. Dennoch galt die Entwicklung wegweisend für den Bau der TEE-Triebwagen der Baureihe VT 11.
Unfälle auf der Werkbahn
Zumindest ein tödlicher Unfall auf der VAW-Werkbahn ist dokumentiert. Der ehemalige Werksfotograf Hans Niedermeier berichtet davon in seinem Buch „Menschen und Aluminium“.[10]
Im Winter 1956 beförderte die Werks-Dampflok in den Morgenstunden einen Zug vom Bahnhof zum Werk. Hinter der Lok hingen 15 Oxid-Schwerwagen sowie 4 weitere Güterwagen. Ein „Schichtler“ des Werkes, Martin Talmeier, stand mit seinem Moped am Bahnübergang, um nach getaner Arbeit nach Hause zu fahren. Er wechselte noch ein paar Worte mit der Besatzung des Zuges und fuhr los, nachdem ihn die hell lackierten Oxidwagen passiert hatten. Wegen der Dunkelheit hatte er die vier nachlaufenden schwarzen Güterwagen übersehen und fuhr in den Zug. Er verstarb noch am selben Tag.
Schließung der Aluminiumhütte – Betrieb auf wenigen Gleisen
Einen großen Einschnitt für die Werkbahn gab es in den 1990er Jahren. Von 1993 bis 1996 wurde die Aluminiumproduktion schrittweise eingestellt und das Werk damit faktisch zum Februar 1996 geschlossen. Am 13. Februar 1996 brachten zwei Loks der Baureihe 218 den letzten Oxid-Ganzzug, bestehend aus 19 Wagen, in das Werksgelände.[11]
Es verblieb auf einem Rest des einstmals großen Werksgeländes lediglich die Aluminium-Gießerei erhalten, die ab 1996 als „VAW-IMCO Guß- und Recycling GmbH“ firmierte und später zur amerikanischen „Aleris International Inc.“ gehörte.
Diese Nachfolgefirma setzte wenigstens zum Teil noch auf die Bahn als Anlieferer der Rohstoffe, die in Töging eingeschmolzen wurden.
Erstaunlicherweise gelang es der Stadt Töging, innerhalb kurzer Zeit auch alle anderen Werksgebäude an Nachfolgefirmen zu vermitteln. Aus dem Werk der VAW wurde ein Industriepark mit vielen verschiedenen Firmen und Dienstleistern.
Gleich zu Beginn der Umgestaltung musste jedoch die Werkbahn erheblich Federn lassen. Alle nicht benötigten Gleisanlagen wurden entfernt. Übrig blieben lediglich ein viergleisiger Bereich im nördlichen Teil des Industrieparks sowie ein einzelnes Anschlussgleis im Süden. Alle diese Gleise führten auf das Gelände der Firma Aleris.
In der Folgezeit gelangte meist zwei- bis dreimal pro Woche ein Übergabezug aus Mühldorf hinunter ins Inntal. Dabei kamen Diesellokomotiven der Baureihen 294 oder 362/363 zum Einsatz.


294 147 hat eine Reihe Wagen als FZ 56481 aus Mühldorf gebracht und zunächst auf Gleis 2 abgestellt. Die Lok umfährt anschließend den Zug auf Gleis 1 und setzt sich wieder an die Waggons.
Danach werden die Güterwagen aus dem Werk gezogen und rückwärts zur Entladung in das südliche Gleis der Firma Aleris geschoben.


Nach dem Eintreffen mit zwei Wagen aus Mühldorf setzt die Lok zunächst über Gleis 1 des Bahnhofes Töging um.


Zustand der Werkbahn in den 2000er Jahren





Nur noch ein Gleis
Im Winter 2013/2014 wurde der Anschluss zu den Gleisen 1, 2, 3 und 14 gekappt. Übrig blieb lediglich das Ladegleis im südlichen Bereich der Firma Aleris.
Erhaltene Fragmente der Werkbahn
Innerhalb des Industrieparks Töging gibt es fast keine erhaltenen Teile der Werkbahn. Das Gelände wurde nach dem Ende der VAW grundlegend straßenbaulich saniert und dabei wurden die nicht benötigten Gleise entfernt.
Erhalten geblieben ist ein Stück Gleis vor dem ehemaligen Silo, der Ende der 1990er Jahre zu einem Club („Silo 1“) umgestaltet wurde. Auf diesem Gleis stehen heute noch drei ehemalige Bahndienstwagen, zwei der Bauart B3yg und ein G-Wagen. Diese Wagen dienen als Eingangsbereich. Sie wurden über das Industriegleis angeliefert und standen zuvor einige Tage auf Gleis 4 oder 5 im Bahnhof Töging.


Über einen B3yg-Bahndienstwagen kommt der Gast in das Innere des Lokals.
Ende nach fast 100 Jahren
Der genaue Tag ist unbekannt, doch ab Anfang 2014 prangte unübersehbar am Beginn der Werkbahn Töging eine Sh2-Tafel, die die Fahrt ins Inntal hinunter verhinderte. Der Grund hierfür war die marode Infrastruktur, die einen sicheren Betrieb nicht mehr zuließ.
Am 1. Januar 2016 dann das bittere Ende: Die Deutsche Bahn schließt die Güterverkehrsstelle Töging. Die Werkbahn Töging ist nach fast 100 Jahren Geschichte.
- [1]“Bahn-Express – Vereinigte Aluminiumwerke AG, Innwerk, 84513 Töging”, http://www.merte.de/BE/archiv/84513-01.htm, 04.03.2014↩
- [2]“Bahn-Express – Vereinigte Aluminiumwerke AG, Innwerk, 84513 Töging”, http://www.merte.de/BE/archiv/84513-01.htm, 04.03.2014↩
- [3]„Deutz 57199“, http://www.rangierdiesel.de/index.php?nav=1405413&lang=1&id=48362&action=portrait, 04.03.2014↩
- [4]„Werksbahn-Exkursionsbericht für das Jahr 1983 – Andreas Christopher“, http://achristo.homepage.t-online.de/Ex1983.htm, 04.03.2014↩
- [5]„Jung 7842“, http://www.deutsche-kleinloks.de, 04.03.2014↩
- [6]“322 129-8″, http://www.revisionsdaten.de/tfzdatenbank/tfz_detail.php?sa&id=10540&fahrzeugsuche=322+129&art=1&such_start=0, 04.03.2014↩
- [7]„Portrait Gmeinder 4827“, http://www.rangierdiesel.de/index.php?nav=1402333&lang=1&id=64678&action=portrait, 19.02.2016↩
- [8]Niedermeier, Hans: Menschen und Aluminium. 2006, S. 61-62.↩
- [9]Niedermeier, Hans: Menschen und Aluminium. 2006, S. 49.↩
- [10]Niedermeier, Hans: Menschen und Aluminium. 2006, S. 89-90.↩
- [11]Niedermeier, Hans: Menschen und Aluminium. 2006, S. 162.↩