Der Orient-Express auf der Bahnstrecke Mühldorf-Simbach

Die Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL) führte erstmals im Jahr 1883 eine europäische Direktverbindung unter dem Namen „Orient-Express“ ein. Dieser Luxuszug, der Anfangs nur aus wenigen Schlafwagen und einem Speisewagen sowie dazugehörigen Gepäckwagen bestand, sollte die Metropolen Paris und Konstantinopel (heute: Istanbul) verbinden. Zwischen 1883 und 1897 nutzte der Orient-Express die Bahnstrecke Mühldorf-Simbach als kürzeste Verbindung zwischen München und Wien. Die Strecke wurde dabei ohne Halt durchfahren. Lediglich an der Grenzstation Simbach war ein Aufenthalt vorgesehen.

Die Aufnahme des regelmäßigen Verkehrs wurde in der Presse bekannt gegeben:

Die Generaldirektion der kgl. bayerischen Verkehrsanstalten gibt Folgendes bekannt: „Der erste Orient=Expreßzug in der Richtung nach Paris passirt die Strecke Simbach = Ulm in der Nacht von Samstag den 9. auf den 10. Juni. – Der zweite Orient=Expreßzug nach Konstantinopel passirt die Strecke Ulm = Simbach Samstag den 9. Juni. Von diesem Zeitpunkt an verkehren die Orient=Expreßzüge in der im Plakat=Fahrplane vorgesehenen Weise.“ Der zurückkehrende Zug dürfte Augsburg Sonntag den 10. d. M. früh 1 Uhr passiren.

(Ohne Verfasser, 9. Juni 1883)

Anfangs konnte der Orient-Express noch nicht durchgehend bis Konstantinopel verkehren, da das Schienennetz in Osteuropa noch einige Lücken aufwies. Erst ab dem 12. August 1888 verkehrte erstmalig ein Zug durchgehend bis zum Bahnhof Konstantinopel-Sirkeci.

Am 5. Juni 1883 fuhr erstmals ein Orient-Express im Bahnhof Paris Gare de l´Est Richtung Osteuropa ab. Ein Reporter der Augsburger Abendzeitung fuhr von München bis Simbach mit und lieferte einen eindrucksvollen Augenzeugen-Bericht.

Der erste Orient=Expreßzug.
München, 7. Juni. Erwartet von einer größeren Anzahl Herren – darunter viele Beamte der Generaldirektion der kgl. Verkehrsanstalten – fuhr gestern Nachmittag programmgemäß 2 Uhr 35 Min. der erste Orient=Expreßzug in die zweite Halle des Zentralbahnhofes ein. Der Zug bestand aus 2 Schlaf-, 1 Restaurant= und 3 Gepäckwagen, welche ab Ulm von einer bayerischen Schnellzugs=Lokomotive gezogen wurden. Ab Paris hatte derselbe 34 Passagiere; es wollten aber noch einige 30 Personen – trotzdem daß schon für die nächste Haltestation das Fahrgeld für eine größere Strecke (bis Straßburg) bezahlt werden muß – an der Fahrt theilnehmen. An durchgehenden Passagieren, d.h. solchen, welche Paris bis Konstantinopel frequentiren, bringt der Zug 11 Personen (meist Engländer), von welchen jeder ein Fahrgeld von 510 Franken bezahlen muß. Mehrere Reisende fahren bis Bukarest, einige bis Wien, auch für München haben sich ab Paris zwei Reisende gefunden; dagegen stiegen hier zur Fahrt nach dem Orient zwei Herrn und eine Dame ein. Für den hiesigen Aufenthalt ist eine Dauer von 5 Minuten vorgesehen – eine Spanne Zeit, welche just etwas zu knapp scheint, um alle die nothwendigen Funktionen, abgesehen von dem Maschinenwechsel, der sehr prompt ging, mit der nöthigen Ruhe zu absolvieren. Zu den ersteren gehören das Durchprobiren der Räder, das Schmieren derselben u.s.w., lauter Manipulationen, welche gestern ja durchgenommen worden; allein man hätte wünschen können, daß den betreffenden Bediensteten nur wenige Minuten mehr Zeit gegönnt gewesen wäre. Dieser 5 Minuten lange Aufenthalt mußte also hinreichen, um sonst noch eine Menge anderer Handlungen zu vollziehen; dazu gehören vor allem die Einnahme einer Menge Speisen, des Wassers für Küche und sonstigen Bedarf in den Waggons nicht zu vergessen. Es gab sich deshalb von den vielen Bediensteten (darunter auch ein äußerst geschäftiger Mohr) des Zuges eine fieberhafte Thätigkeit kund. Dieselben mögen etwas überrascht gewesen sein, als zur festgesetzten Zeit das Zeichen zur Abfahrt gegeben wurde und Schlag 2 Uhr 40 Minuten der Zug aus dem Bahnhof dampfte, angestaunt von einer noch größeren Menschenmenge, als bei der Einfahrt. Ihr Berichterstatter glaubte den Zug doch wenigstens bis zur nächsten Halte=Station Simbach benützen zu sollen, um nach eigener Anschauung über die Fahrt berichten zu können. Die 124 Kilometer Strecke wurde in der vorschriftsgemäßigen Zeit von 2 Stunden 18 Minuten zurückgelegt, denn genau 4 Uhr 58 Minuten fuhr der Zug in Simbach ein. Wie jedem anderen der 24 Mitreisenden wurde mir kurz nach Abfahrt ein Kabinet zugewiesen. Der sehr freundliche Kondukteur zeigte mir nun alle Einrichtungen des Schlafwaggons, speziell meines Kabinets, über dessen raffinirte und höchst elegante Ausrüstung bis zur himmelblauen Decke, auf welche Schwalben gemalt sind, ich nicht wenig erstaunt war. Die größte Bewunderung rang mir doch die Umwandlung des Kabinets in ein mit zwei Betten (übereinander) sich darstellendes Schlafgemach ab. Vorzüglich ist die Ventilation. Unter der Leitung des den Zug begleitenden Herrn Inspektors Weil, eines liebenswürdigen Elsässers (ehemaligen französischen Majors), wurde nun von den übrigen Theilen des Wagen Einsicht genommen, zumal interessirt hier der sog. Restaurnatwagen. Derselbe hat vor den bekannten den Vortheil, daß sich die Restauranträume – zwei Speisesalons – sowie die zwischen beiden liegende Küche in ein und demselben Wagen befinden, wodurch der Zug eine nicht so schwere Belastung erfährt, als wenn ein besonderer Küchenwagen mitginge. Die Salons derselben sind außerordentlich elegant ausgestattet. Den Boden bedecken Smyrnateppiche, die Wände sind in einem Salon mit Gobelins, im andern mit Ledertapeten in reicher Goldpressung bekleidet. Von der künstlerisch dekorirten Decke hängt ein im altdeutschen Stile gehaltener Kronleuchter mit drei Glasflammen herab. Der Wagen ist mit einer von der Kochmaschine ausgehenden Zentralheizungsanlage, Gasbeleuchtung und einem pneumatischen Klingelwerk versehen. Die großen Spiegelscheiben gewähren ungehinderte Aussicht nach allen Seiten. In jedem dieser Salons befinden sich vier an den Seitenwänden befestigte Tische und transportable Polsterstühle, welche ein Placiren der Reisendenin Gruppen von beliebiger Anzahl ermöglichen, so daß man hier Zwi=Karten spielen sah, dort fünf Personen aus elegantem Geschirr Mocca schlürfen u.s.w. Ein dort aufliegender Speisezettel bezeichnet Kaffee mit Brod und Butter zu Franken 1,50, Dejeuner ohne Wein 4 Fr. und Diner ohne Wein zu 6 Fr. (Potage, Hors d`Oeuvre, Poisson, 2 plats de Viande, Lègumes, Entrements, Dessert). Die Weine etc. sind aufgeführt mit 1/2 Bouteille Bordeaux, Porto und Sherrry a 3 Fr., Moet und Verzenay a 6 Franken etc. Von einem Waggon zum andern gelangt man über auf den Buffern liegende, mit Geländern versehene und durch Jalousien gegen Sonne, Wind und Wetter geschützte Plattformen. – Um 2 Uhr 54 Minuten passirten wir den Ostbahnhof, 3 Uhr Riem, 3 Uhr 4 Minuten Feldkirchen, 3 Uhr 10 Minuten Poing, 3 Uhr 15 Min. Schwaben, 3.45 Dorfen, 4,15 Mühldorf, 4,29 Neuötting und unter strömenden Regen liefen wir 4 Uhr 58 Min. in Simbach ein. Für eine so wichtige Endstation mußte man sich wundern, daß der Bahnhofperron so viele Neugierige – auf allen, selbst auf den kleinsten Stationen hatten sich übrigens trotz des Regens Neugierige eingefunden – zählte. Kaum angekommen, stürzten sich auch schon eine große Anzahl österreichischer Finanzwächter über die Gepäckwagen her, bereit, alles zu plombiren, was z. B. an Speisen, zumal Getränken u. sonstigen Vorräthen vorhanden. Doch nur zu einem gewissen Theil konnten alle diese Manipulationen während des genau 5 Minuten langen Aufenthaltes vorgenommen werden. Einige dieser Finanzwächter blieben deßhalb im Zug um ihre Aufgabe bis zur nächsten Haltestelle zu lösen. Für, die Folge soll eine Abänderung dahin getroffen werden, daß stets der bald darauf von Wien kommende Orient=Expreßzug alle die Speisevorräthe einnimmt, welche der von Paris kommende etwa noch übrig hat. Zum Schluß möchte vielleicht noch interessiren, daß ein jeder Blitzzug nur aus 2 Schlaf= und 1 Restaurant=, sowie 2 – 3 Gepäckwagen bestehen darf, so daß er an Passagieren nur 28 Personen mitnehmen kann; nämlich in einem Schlafwagen in je 2 Kabinetten je 4 und in je 3 Kabinetten je 2 Personen, zusammen 14 Personen. Ein solcher Expreßzug darf nicht über 100 Tonnen wiegen, davon werden auf je einen Schlafwagen 15, auf einen Gepäckwagen bis 10 und 12 Tonnen gerechnet.

(Ohne Verfasser, 7. Juni 1883)

(Unbekannt, o. J.)

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